Autonomie, Nachhilfe für deutsche Journalisten

„Pep Guardiola kämpft für Autonomie der Katalanen“, titelt der stern auf seiner Online-Seite.  Genauso sinnfrei liesse sich schreiben: „Guardiola will deutscher Meister 1979/80 werden.“ Diese Meisterschaft hat der FC Bayern bereits geholt und ebenso lange sind die Katalanen autonom. Wofür kämpft Guardiola also? Das Selbstbestimmungsrecht! Und das hat nichts mit Autonomie zu tun, auch wenn deutsche Journalisten gerne einen gegenteiligen Eindruck erwecken. Eine kleine, kostenlose Nachhilfe-Stunde in Sachen Autonomie, Selbstregierung, Selbstbestimmungsrecht und Unabhängigkeit.

20140608 Guardiola in Berlin (c) Arantxa Alduntzin
Der Trainer des FC Bayern, Pep Guardiola (rechts), verteidigt in Berlin nicht nur das Selbstbestimmungsrecht der Katalanen, sondern auch das der Basken. (c) Arantxa Alduntzin

Die Worte „Autonomie“ und „Selbstregierung“ meinen dasselbe. Sie bedingen, dass ein Zentralstaat bestimmte Kompetenzen an eine Region delegiert, damit diese sich selbst regieren und verwalten kann. Da die Franco-Diktatur ein zentral, sprich: von Madrid aus gelenkter Einheitsstaat war, kam die Idee auf, nach dem Tod des „Caudillos“ Francisco Franco diesen zu dezentralisieren. Die einen favorisierten das Modell eines Bundesstaates nach westdeutschem Vorbild, die anderen einen Autonomiestaat, der das Selbstbestimmungsrecht mit in die Verfassung aufnehmen sollte. Für die franquistischen Hardliner waren beide Modelle inakzeptabel, weil sie das Ende ihres „großen, einigen, freien Spaniens“ bedeutet hätten. Da sie dafür schon 1936-1939 den Bürgerkrieg angezettelt hatten (500 000 Tote) und sie anschließend noch mal weitere 140 000 Gegner deswegen an die Wand stellten, drohten sie mit einem neuerlichen Putsch, falls die zukünftige Verfassung Basken und Katalanen zu viel Eigenständigkeit zugestehen würde. Die Drohung kam bei sogenannten „Reformfranquisten“ wie Adolfo Suárez an, die zwar bestrebt waren, den alten Staat zu modernisieren, ohne aber seine Strukturen und Grundfeste zu erschüttern.
Folglich kam das Selbstbestimmungsrecht nicht in die neue Constitución. Jener Passus hätte festgeschrieben, unter welchen Bedingungen ein Landesteil das Königreich auf demokratischem Wege verlassen darf. Just die Verfassung der Sowjetunion verfügte über einen solchen Artikel. Darauf beriefen sich die drei Baltischen Republiken, als sie 1990 die UdSSR verlassen und sich unabhängig erklären wollten. Und das war nicht die Ausnahme.

Selbstbestimmungsrecht

Man kann das Selbstbestimmungsrecht salopp das Scheidungsrecht für Staaten und Nationen nennen. Gemäß der UNO-Resolution vom 12. Dezember 1970 steht jedem Volk das Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit zu. Im Artikel 8 der KSZE-Schlussakte (1975) heißt es hierzu: „Kraft des Prinzips der Gleichberechtigung und des Selbstbestimmungsrechts der Völker haben alle Völker jederzeit das Recht, in voller Freiheit, wann und wie sie es wünschen, ihren inneren und äußeren politischen Status ohne äußere Einmischung zu bestimmen und ihre politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung nach eigenen Wünschen zu verfolgen.“
Selbst das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hat in den beiden Varianten seiner Präambel das Selbstbestimmungsrecht für die Deutschen in Anspruch genommen. Wenn Katalanen und Basken fordern, ihre Zukunft selbst bestimmen zu wollen, folgen sie den Grönländern, die dieses internationale Recht bereits ausgeübt haben, während die Schotten es im September anwenden werden. Nur die Verfechter des spanischen Nationalstaates ignorieren es vollkomen und berufen sich dabei auf eine sehr eigenwillige Definition von „Nation“.

Nation

Die Vokabel „Nation“ fürchten besonders jene Deutschen, die sich „links“ nennen, wie der Teufel das Weihwasser, weil sie meinen, die drei Silben einmal ausgesprochen müssten unweigerlich in „-alsozialismus“ enden.
Dabei hat bereits im 19. Jahrhundert der französische Religionswissenschaftler Ernest Renan definiert: „Eine Nation ist ein geistiges Prinzip, das aus tiefgreifenden Verbindungen der Geschichte resultiert, eine spirituelle Verbindung.“ Sie basiert auf zwei Pfeilern: der Vergangenheit, deren reichen Erbe man sich gerne erinnert und auf der Gegenwart, die den Wunsch ausdrückt, weiter als Nation zusammenleben zu wollen, indem man die geerbten Werte bewahrt. „Die Existenz einer Nation ist ein Plebiszit, das sich jeden Tag wiederholt”, resümiert Renan.
Für den spanischen Nationalismus, der die Verfassung von 1978 verfasst hat, gibt es hingegen nur eine „Nation“, die spanische, und deren Einheit ist „unteilbar“. Basta. Das ist ein Imperativ und kein Plebiszit. Basken und Katalanen reduziert er auf „Nacionalidades“, einem Kunstbegriff, den es im Völkerrecht nicht gibt. In den vergangenen 36 Jahren hat es keine Regierungspartei in Madrid gewagt, diese begrenzte Sichtweise zu erweitern. Juristische und faktische Gewalt ersetzten bisher politische Überzeugungsarbeit. Ein Fingerzeig auf die Magna Charta, ein Anruf bei der Staatsanwaltschaft und ein Einsatzbefehl an die Zivilgarde reichten gemeinhin aus, um die von Franco geerbte und etwas reformierte staatliche Ordnung zu wahren. Der Zwang, Spanier sein zu müssen, überzeugte weder Basken noch Katalanen, die mittlerweile mehrheitlich Wege suchen, um das Königreich zu verlassen. Argumente liefert ihnen Madrid zuhauf.

Autonomie

Auf der Basis der Verfassung von 1978 erhielten das territorial zersplitterte Baskenland und Katalonien ihre jeweiligen Autonomiestatute. Die führenden bürgerlichen Parteien, die Baskische Nationalpartei (PNV) und die Konvergenz und Union (CiU), nahmen diese wohl oder übel an. Im Baskenland ist unvergessen, dass der heute als „Demokrat“ geltende Suárez der PNV-Delegation gegenüber ganz unverhohlen drohte, er würde das Kriegsrecht über die baskischen Provinzen verhängen, wenn diese nicht endlich das Statut annähme.
Von Madrid lanciert und in der deutschen Presse immer wieder gerne kolportiert, geistert die Behauptung durch Raum und Zeit, die Basken würden sich wie keine andere Region in der EU selbst regieren können. Für die Steuererhebung mag das vielleicht zutreffen, aber die Aussage stimmt trotzdem nicht.
Weder das baskische noch das katalanische Autonomiestatut genießt denselben Schutz wie eine deutsche Landesverfassung, da beide nichts weiter als ein Gesetz darstellen. Der spanische Staat hat sich das Recht vorbehalten, mit den Stimmen von Parlament und Senat in Madrid, eine Autonomie außer Kraft zu setzen, wenn die autonome Regierung den Weisungen der Zentralexekutive nicht nachkommt. Das deutsche Grundgesetz kennt zwar das Mittel des „Bundeszwanges“, hat dieses aber nicht weiter definiert, da es in 65 Jahren Bundesrepublik auch noch nicht zum Einsatz kam. Darüber hinaus verfügen die deutschen Bundesländer neben Parlament und Regierung über ein Landesverfassungsgericht, das über die Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung wacht. Landesgesetze gestatten ihnen, Volksabstimmungen abzuhalten. Dafür müssen sie sich keine Erlaubnis von Bundestag und Bundesrat einholen. Ergo übertrifft die Selbstregierung eines deutschen Bundeslandes in Ausmaß und Schutz die einer spanischen „Autonomie“ bei weitem.

Unabhängigkeit

In deutschen Berichten wird des Öfteren der Eindruck erweckt, als würden die Katalanen am 9. November 2014 über die Unabhängigkeit von Spanien abstimmen wollen. Das stimmt so nicht. Die Volksbefragung dient dem Ziel herauszufinden, wie viele Wähler einen eigenen Staat wollen und ob dieser sich von Spanien unabhängig erklären soll. Ein dritter Weg zwischen Status quo und Unabhängigkeit könnte zu einer Bundesrepublik oder einer Konföderation iberischer Staaten führen. (An Letzteres dachte man bereits in den 1930er Jahren.) Da aber das politische Madrid unfähig ist, in solchen Parametern zu denken und lieber gebetsmühlenartig auf die Verfassungsfeindlichkeit des Vorhabens verweist, stehen die Zeichen auf Scheidung. Ob diese dann tatsächlich vollzogen wird, bleibt abzuwarten.

Im Moment fordern Katalanen (und Basken) lediglich die internationale Variante des „Scheidungsrechtes“ ein. Dafür – und nicht für die Autonomie -, kämpft auch ein Pep Guardiola.

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